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Motoren-Papst
Unscheinbar - an ihren Werken werdet ihr sie erkennen ...
Man muss Gerd Brauneiser im Gespräch erlebt nur einmal so erleben, wie er von Steuerzeiten, Schließwinkeln, Kalottenformen, Materialeigenschaften, Passwerten, seinen Berechnungsformeln usw. plausibel und begeisternd erzählt. Schon nach kurzer Zeit findet man den Titel "Motoren-Papstes" bestätigt. Würde er sich selbst als Motoreningenieur bezeichnen, kämen dahingehend keinerlei bei niemandem Zweifel auf. Braueisers ausgeprägtes und hochkarätiges Wissen und sein über Jahrzehnte gesammelter Erfahrungsschatz können es sicherlichlich mit dem eines erfahrenen Renningenieurs aufnehmen. Dass er keinen Schein als Ingenieur hat, darauf ist er zurecht stolz. Denn auch darin ist er wieder ganz typisch der Rheinländer. So wichtig den Preußen das Militär war, so sehr machten sich die Rheinländer, die nie Preußen sein wollten, lustig über das Militär, wenn die etwa im Karneval den "Stippeföttche-Tanz präsentieren" müssen mit dem Befehlszusatz "Sed esu jot und doht dat!" oder Ihre Gewehre mit Blumensträußchen ausgerüstet haben. Mit Schein alleine ist dauerhaft bekanntlich nichts zu reißen. Entscheidend ist immer das, was am Ende wirklich herauskommt. Auf den ersten Blick sehen seine Werke zwar noch so aus, wie die einstmals von den Fabriken für den Massenmarkt produzierten Originale, auf den zweiten Blick bemerkt der Kenner jedoch Brauneisers Handschrift, die das Bessere verfolgt. Ein Ford Capri ist dann kein normaler Capri mehr, sondern ein Brauneiser-Capri. Den Titel "Motoren-Papst" hat Gerd Brauneiser sich autodidaktisch mit sehr viel Eifer und Disziplin selbst erarbeitet. Verliehen wurde er ihm von der Ford-Szene und das ist schon eine ganz besondere Auszeichnung. Einen amtlichen „Scheinerfolg“ nebst Titel hat Braueiser "lediglich als Fliesenlegermeister". Der Erfolg bei der Fortführung des von seinem Vater übernommenen Fliesenlegerunternehmens ermöglichte es ihm letztendlich, sich erfolgreich und intensiv mit der Renntechnik zu befassen. "Das wäre mir kaum möglich gewesen, wenn ich mich nur mit der Renntechnik beruflich beschäftigt hätte", stellt Brauneiser rückblickend fest. |
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Rastlos neuen Herausforderungen entgegen Als Rentner kommt es für Gerd Brauneiser gar nicht in Frage, die gewonnene Freizeit mit endlosem Fernsehen zu vergeuden. Seit seiner Wiederentdeckung der Kreidler Florett fand er deshalb schon bald zahlreiche Dinge, für die er bessere Lösungen parat hatte. Das waren in erster Linie der Motor, aber auch das Fahrwerk mit all seinen Komponenten. Bei den Motoren untersuchte und experimentierte er mit Kanalformen, den Steuerzeiten durch die Schlitze, die Formen der Brennraumkalotten und natürlich die Form des Auspuffs. Ziel war immer die optimale Motorfüllung. Dabei spielte natürlich die ozillierende Gassäule im Auspuff eine Rolle und die Möglichkeiten, mit den Formen des Auspuffs darauf Einfluss zu nehmen. Er erkannte dabei rasch, dass es dabei auf scheinbare Kleinigkeiten sehr ankommt, die sich in Größenordnungen von wenigen Millimetern bewegen können und noch viel wichtiger: „Alles muss aufeinander abgestimmt sein“.
Sämtliche Tuningmaßnahmen an Kleinkrafträdern verfolgt Brauneiser unter der Maßgabe, dass man äußerlich auf den ersten Blick davon möglichst wenig erkennen sollte. Dieses macht er aber nicht etwa deshalb, um sich mit seinen Maßnahmen an der Legalität vorbeizuschummeln, denn alle Veränderungen werden dem TÜV vorgeführt, abgenommen und in die Fahrzeugpapiere eingetragen. Auf der Suche nach mehr fahrbarer Leistung kamen schließlich größere Hubräume in Betracht. 70 ccm und endlich 100 ccm. Gerade für Kreidler gibt es heute eine Vielzahl so guter Tuningteile zu kaufen, wie sich das zu Zeiten, als das Unternehmen Kreidler noch existierte, niemand vorstellen konnte. Bei der Überarbeitung der Motorenkomponenten stellte Brauneiser jedoch fest, dass bei noch mehr Leistung die Leistungsabgabe praktisch im normalen Straßenverkehr schlecht zu verwerten ist. "Mit einer brauchbaren Leistungsabgabe zwischen 11.800 U/min und 14.000 U/Min lässt sich zwar auf einer Rennstrecke fahren, schlecht bis qualvoll aber im Stadtverkehr von Ampel zu Ampel. Nach mehr als fünf Jahren intensiver Auseinandersetzung und Studium der kleinen Zweitaktmotoren kam Brauneiser zu dem Entschluss, es einmal mit einem Umbau auf Membransteuerung zu versuchen. In der holländischen Kreidler-Szene hatten auch schon einige technisch versierte Zeitgenossen diesen Weg eingeschlagen. Nur mit der Membrane zwischen Vergaser und Zylinder lässt sich relativ viel Leistung bzw. Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen umsetzen. |
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Kreidler RS mit sagenhaften 20,4 PS Seit 2008 steckt Gerd Braueiser sehr viel Zeit und Arbeit in seine Sammlungen von insgesamt vier Kreidler-Motorrädern. Die älteste Floret von 1959 mit gerade einmal 3,6 PS und handgeschaltetem Dreigangetriebe steht heute in seinem Wintergarten und wird dort von einer Kaufhauspuppe vereinnahmt.
Fahrbereit in seiner Garage steht ein Kreidler Florett Super aus dem Jahre 1964. Diese Kreidler hatte Brauneiser im Museum der Waffen und Zweiradschmiede Simson in Suhl kurz nach der Wende ausfindig gemacht. "Die ist noch mit einem DDR-KFZ-Brief. Über den damaligen DDR-Devisenhändler Schalk-Goldkowski und die "KoKo" kam die in den 1960er Jahren in die Hände der Simson Leute. Dort wurde die Kreidler auseinandergenommen und zu Studienzwecken genauestens untersucht." Kurz nach der Wende konnte Braueiser sie vom Museumsleiter abkaufen.
"Am liebsten fahre ich mit dieser Eiertank-Florett", sagt Gerd Braueiser und verweist auf eine mehr als vollrestaurierte Kreidler Super: "Die hat auch über 13 PS und Membransteuerung. Damit das alte Fahrwerk da noch mithalten kann, habe ich eigene Federbeine für die Schwingengabeln konstruiert, gebaut und eingebaut. Keine meiner Floretts fährt sich angenehmer". Auf dem Gepäckträger ist sein altes Köfferchen aufgeschnallt. Es ist mit zahlreichen einschlägigen Aufklebern versehen und am Koffergriff hängt ein Fuchsschwanz. Ein Anblick übrigens, der auch schon als Foto Einzug in die Fachzeitschrift Motorrad Classic gehalten hatte. Im Inneren des Köfferchens findet sich eine Fotosammlung darüber, wie die "Eiertank" früher einmal aussah und was sonst noch für Passanten zum Thema Kreidler Florett interessant sein könnte.
Die höchst entwickelte Brauneiser-Kreidler ist indessen zusammen mit der Tuning-Kreidler seines Freundes Klaus auf der Ladefläche eines eigens dafür angeschafften Fiat Doblo untergebracht. Damit taucht Brauneiser bei den inzwischen zahlreichen Treffen und Fahrveranstaltungen auf abgesperrten Strecken in Deutschland, Holland und Belgien auf. Im
September 2012 veranstaltete der
Motorsport-Club Ludwigsburg sein zweites
internationales
"Kreidler-Festival
& Zweitakt-Treffen" mit
Unterstützung der Zeitschrift Motorrad Classic in der
Kreidler-Stadt Kornwestheim.
Die Mitarbeiter der Zeitschrift hatten dort einen
Leistungsprüfstand
aufgebaut, mit dem am Hinterrad der Brauneiser-Kreidler RS die
sagenhafte Leistung von 20,4 PS gemessen wurde. Das ist ein
Rekordwert für eine Kreidler RS, die äußerlich
sehr serienmäßig aussieht. Nachzulesen ist dieses in
Motorrad Classic, Heft 08/2012 auf den Seiten 84 und 85. Gerd
Brauneisers Freund Friedrich Schmickler nahm die Leistungsmessung
auf Video auf. Dieses kann unter dem nachfolgenden Link auf
Youtube angeschaut werden:
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Brauneiser-Hercules K 125 S "Das Thema Kreidler ist inzwischen für Gerd Brauneiser ausgereizt. Mehr kann und will ich mit Kreidler nicht mehr anfangen", war sein Aussage Ende 2012. Was ihn an neuen Themen gereizt hätte, war damals eine Zündapp KS 125 aus der ersten Hälfte der 1970er Jahre. "Der breite fahrtwindgekühlte Zylinder, der Rohrrahmen, die Gabel, eigentlich das ganze Fahrzeug hatte mich schon immer begeistert". Als sich der mögliche Kauf einer solchen Zündapp für ihn zerschlagen hatte, weil der Käufer die Maschine kurzfristig noch jemand anderem verkauft hatte, war zunächst einmal Hängen im Schacht. Dann wies ihn ein Freund darauf hin, dass die K 125 Modelle von Hercules mit einem ähnlich breiten Zylinder eines gleichstarken Motors eigentlich noch bulliger aussähen, weil das Fahrwerk dieses Motorradtyps kleiner als das der Zündapp und mit dem der 50er Hercules vergleichbar sei. Nachdem Brauneiser diese Aussagen anhand von Fotos bestätigt sah, sprang der Hercules-Sachs-Funke schnell auf ihn über. Bald danach fand er geeignete Restaurierungobjekte: Eine gut erhaltene Hercules K 125 und eine K 125 S als Teileträger.
Auf der ganzen Linie begann Brauneiser mit der Restaurierung der K 125 oder besser noch würde man Tuning sagen, denn vom Original wird sich auch die Hercules, ähnlich wie zuvor schon zwei seiner Floretts, bei genauem Hinsehen für den Kennen unterscheiden. Böse Zungen werden wieder von "überrestauriert" sprechen, aber das wird Braueiser vollkommen egal sein, denn ihm geht es um die Verwirklichung seiner eigenen Vorstellungen und so wird es am Ende eine richtige Brauneiser-Hercules sein.
Viele Teile des Rahmens wurden verchromt, der Rest mit bestem Lack lackiert, allerdings in Gelbtönen, die es von Hercules selbst nie gab.
Hauptaugenmerk richtet Gerd Brauneiser einmal mehr - wie sollte es auch anders sein - dem Motor. Natürlich wird Brauneiser auch diese Motoren auf Membransteuerung umbauen. Dazu greift er auf einen Fundus von mehreren Zylindern. Auf der Suche nach Motoren- und Getriebeteilen geriet er an den ihm bis dahin nicht bekannten ehemaligen Hercules- und Zündapp-Werksfahrer und mehrmaligen Europameister und national wie international sehr erfolgreichen Heinz Brinkmann aus Bottrop. Der verfügte noch über einige schnelle Zylinder und Getriebe der Sachs-Werksmotoren. Als die beiden sich kennen und schätzen gelernt hatten, gab Brinkmann die raren Teile für verhältnismäßig kleines Geld an Brauneiser ab. Natürlich will Brinkmann demnächst sehen, wie das alles in den Brauneiser-Kreationen mit der Membransteuerung läuft. Von der Technik des Sachsmotors ist Brauneiser inzwischen begeistert: "Der ist grundlegend anders aufgebaut als der Kreidler-Motor und alles erscheint sehr viel stabiler, weil üppiger dimensioniert. Etwas gewöhnungsbedürftig ist der Zusammenbau des Getriebes. Mit vielen kleinen Distanzscheibchen müssen die Zahnräder und Wellen genau aufeinander ausgerichtet werden. Hierzu sind Geduld und Präzision gefordert, sonst lässt man es selber besser bleiben! Beim Demontieren eines funktionierenden Getriebes sollte man sich peinlichst genau aufschreiben, welche Scheibe an welcher Stelle saß und dementsprechend später wieder zusammenbauen. Dann passt und läuft auch am Ende alles wieder." Dann zeigt mir Brauneiser die Sammlung seiner Zylinder und Kolben. Die meisten Zylinder hat er schon vorbereitet für den Anbau einer Membrane. Letztere nimmt er von der 125er Cagiva. Deren Membranen aus Kohlefaser hält Brauneiser für ideal. Auch mit den Kolben hat Brauneiser schon teure Erfahrungen gesammelt. Die schmolzen in der Vergangenheit oft genug im Bereich des Auslasskanals dahin oder zerbrachen einfach nach noch nicht einmal 3.000 km Laufleistung. Das Material der serienmäßigen Kolben ist einfach nicht gut genug für die Belastung unter Tuningbedingungen. Dazu stellt er mir einen überarbeiteten Serienkolben neben einen für ihn speziell angefertigten Kolben. "So ist kaum ein Unterschied zu sehen", erklärt Brauneiser, "aber unter dem Elektonenmikroskop kannst du bei dem Serienkolben Löcher erkennen, die im geschmiedeten Kolben nicht vorhanden sind. Der geschmiedete Kolben kann deutlich mehr Belastungen dauerhaft aushalten, sowohl bezüglich der Temperaturen als auch der Druckbelastungen". Um die Temperaturbeastungen zu kontrollieren, baut Brauneiser in den Auslasskanal einen Temperaturfühler ein. Das Anzeigendisplay dazu hat er über der Lenkerklemmung angebracht. "Mehr als 650° C lasse ich es da nicht heiß werden, sonst schmilzt mir der Kolben dahin. Vorher muss ich das Gas zurücknehmen", erklärt er zur Verwendung des Thermometers. Wenn ich mir Brauneisers Sammlung von Motorteilen so anschaue und wie ich ihn so kenne, werden sein Forschungsdrang, seine Ideen und seine Versuche zu einem noch Besseren hin noch lange nicht abgeschlossen sein, auch dann noch nicht, wenn die K 125 S quasi fertig restauriert schon die ersten Eifelrunden hinter sich hat. Für Gerd Brauneiser ist die Freude an der technischen Weiterentwicklung mindestens so hoch, wie die Freude am Fahren. |
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Swisttal,
im Juni 2013
Text und Fotos: Hans Peter Schneider