Begehung
nach mehr als vierzig Jahren Nach
der Siegerehrung beginnt das Vergessen und weitere neue
Wettkämpfe folgen, geraten in die Schlagzeilen der Presse, -
Jahr für Jahr - und sind irgendwann dann auch vergessen. Das
ist der Lauf aller irdischen Dinge, auch wenn es um den Ruhm auf
der Rennstrecke geht. Die Erinnerung an sportliche Ereignisse
hält sich vielleicht 20 Jahre, vielleicht 40 Jahre, aber
selten ein Menschenleben lang.
Mit
Reinhard Scholtis hatte ich mehr als vierzig Jahre nach seinen
Rekordfahrten im Juni 2010 die Orte der ehemaligen Südschleife
aufgesucht. Zu finden sind noch die Bergabpassage von der
ehemaligen Start- und Zielgeraden hinab nach Müllenbach –
die heutige Kreisstraße K72 – und im Wald versteckt
die langgezogenen Bergaufpassage, teils prallel zur L93 bis zum
Scharfen Kopf. Der Rest der ehemaligen Rennstrecke musste der
aktuellen Grand-Prix-Strecke weichen.
Die
Bergabpassage von der heutigen Grand-Prix-Strecke über die
K72 bis nach Müllenbach kann jeder mit seinem Fahrzeug
befahren. Dabei lässt sich leicht erahnen, welches Tempo
hier früher schon auch von Rennfahrzeugen mit alter Technik
trotz schlechter Bremsen und trotz fehlender Auslaufzonen
erreicht wurde, welche Tücken die vorhandenen Kurven bei
hohem Tempo hatten. Die alte Südschleife verzieh –
nicht anders als die bekanntere alte Nordschleife – keine
Fehler.
Sozusagen
in einen Dornröschenschlaf versunken erscheint heute der
Streckenabschnitt bergauf von Müllenbach zum Nürburgring.
Er ist durch den Wald, an einigen aktuellen Hilfsparkplätzen
vorbeiführend noch vorhanden. Wer es weiß, erkennt von
der L93 aus die die ehemalige Fahrbahnbegrenzung der Strecke.
Diese bestand aus der berühmten Buchenhecke - „Hecke
auf, Fahrzeug durch, Hecke zu“ - und wurde bis zum Ende des
Rennbetriebs durch regelmäßigen Heckenschnitt auf eine
Höhe von einem Meter gehalten. Seit 1970 wachsen die
Buchenstöcke ungehemmt und zeichnen im Baumbestand den
Verlauf der ehemaligen Strecke.
Fast wie
ein Pilgerweg Reinhard Scholtis spricht immer wieder vom
„Scharfen Kopf“, als einer der bedeutendsten
Streckenpassagen der alten Südschleife. Der Scharfe Kopf war
nicht nur eine scharfe sich zuziehende Rechtskurve mit sofort
anschließender Linkskurve, er war sozusagen der Abschluss
der Steilstrecke der Südschleife. Von der Start und
Ziel-Geraden ging es über die schnelle kurvige Abfahrt hinab
bis kurz vor das mehr als 140 Höhenmeter tiefer liegende
Müllenbach. Von da an hieß es mit viel Vollgas im
richtig übersetzen Gang den kurvigen Anstieg mit durchweg
über 10 % Steigung zu nehmen. Mit dem Scharfen Kopf war fast
das Höhenniveau der Schleife aus Start- und Zielgeraden und
Gegengeraden erreicht. Ab jetzt kam es ganz besonders auf die
richtige Aerodynamik und ggf. den Windschatten für die
bestmögliche Höchstgeschwindigkeit an.
Am
Hilfsparkplatz C6 an der L93, fast ganz unten bei Müllenbach,
parken wir unser Auto vor der Schranke der Parkplatzzufahrt.
Während bei Müllenbach die ehemalige Fahrbahn der
Südschleife entfernt wurde, ist sie hier im Wald mit dem
Beginn der Steigung noch zu finden. Wir beschließen
kurzerhand, die lange Auffahrt dieser ehemals schnellen Piste
nicht ohne eine gewisse Ehrfurcht bis zum Scharfen Kopf zu Fuß
zu nehmen. Die Fotos auf dieser Seite wurden bei dieser
Gelegenheit gemacht.
Die
historischen Bedeutung dieser Strecke sorgt in uns für eine
gewisse Anspannung und ständig versuche ich mir in Bildern
vorzustellen, wie die Rennfahrzeuge an mir mit heulenden,
donnernden Motoren vorbeischießen. Zugleich lässt das
alte und inzwischen von Bäumen teils heftig umwachsenen
Asphaltband ein Gefühl der Beklemmung in mir aufkommen:
Dieser Teil des Nürburgrings mit all seinen Freuden und
Dramen gehört der Geschichte an und ich frage mich, wann er
denn wohl ganz in Vergessenheit geraten wird. Reinhard
Scholtis hatte wohl ähnliche Gefühle, wenngleich seine
Erinnerungen von seiner Fahrerperspektive geprägt sind, wie
er etwa welche Kurve in welchem Bogen und in welchem Gang anfuhr.
Mit der Adler, die nur vier Gänge hatte, folgte er geistig
nochmals der Ideallinie: „Die Kurve bei Mühlenbach im
zweiten Gang und das Beraufstück voll im dritten“.
Aber das Bergaufstück zog sich und hatte Kurven, bei denen
man etwas vom Gas gehen musste und so „war der dritte Gang
bei der Adler grenzwertig. Bei der Yamaha, mit Fünfganggetrieb
und noch mehr Leistung fand die Veranstaltung einen Gang höher
und viel schneller statt“. Jim
Redmanns Honda RC166 hatte in jener Zeit sechs Zylinder und
sieben Gänge. Scholtis fuhr dagegen mit seiner
Zweizylinder-Yamaha und fünf Gängen technisch in einer
anderen Leistungsliga. Redman geriet mit soviel Werkspower einmal
bei der Beraufpassage in einer Linkskurve heftig durch die
Buchenhecke hindurch in den Wald und zerlegte dabei seine
exklusive Maschine in viele Teile - zum Glück ohne
bleibenden körperlichen Schaden. Andere Werksfahrer nahmen
da die Südschleifenkurven nicht ohne Grund mit mehr Vorsicht
und Respekt, so etwa Luigi
Taveri. „Mit dem hervorragenden Maschinenmaterial
konnte der die langsamen Kurvenfahrten auf den langen Geraden vor
und bei Zart und Ziel hervorragend wieder herausfahren. Phil Read
und Mike Duff machten es da nicht viel anders. Sie fuhren in der
Zeit die Yamaha RD56 Werksmaschine mit 250 ccm und sieben Gängen.
... Südschleifenkenner fuhren die schwierigen Abschnitte
dagegen deutlich schneller“, erklärt mit Scholtis, der
seinen ersten Rundenrekord für Motorräder schon 1963
aufstellte.
Bei der
Bergaufpassage zu Fuß stelle ich fest, wie lang und wie
steil dieser Abschnitt doch ist, für den Scholtis 1969
gerade einmal allenfalls 15 Sekunden benötigte.
Nachdem wir
den Scharfen Kopf erreicht haben, finden unsere Erinnerungen und
die damit einhergehenden Bilder in unseren Köpfen eine jähes
Ende: Wir sind in der Jetztzeit aufgetaucht und schauen in
nächster Nähe auf die Hinweisschilder zu den modernen
Nürburgring-Parkplätzen, hören links von uns die
Aktivitäten auf dem Trainingsgelände des modernen
Fahrtsicherheitszentrums und erkennen die Rückseite einer
Besuchertribünen zur aktuellen Grand-Prix-Strecke. Dort wo
laut Scholtis die Gegengerade zur Start- und Zielgeraden lag,
finden wir heute ein Gebäude des neuen Nürburgrings.
Gesamtansicht
des neuen Nürburgringgebäudes 2010. Das
Foto ist mit seinem Urheber verlinkt
Brot
für so viele Wenn
wir nicht wüssten wo wir hier wären, könnten wir
auf den ersten Blick meinen, vor uns läge das mächtige
Terminal eines modernen Großflughafens. In Wirklichkeit ist
der neue Nürburgring eine „Event-Fabrik“ in die
über 300 Millionen Euro gesteckt wurden, um den Betreibern
des Nürburgrings und der immer noch strukturschwachen Region
Gewinne und damit Strukturförderung zu bereiten. Wenn
ich im Anschluss zu unserer denkwürdigen Exkursion vor dem
modernen Nürburgring-Gebäudekomplex stehe, dann komme
ich mir selbst klein und verloren vor. Der Gebäudekomplex
erscheint mir mit all seiner teuren Wucht viel gewaltiger als
etwa der altehrwürdige Kölner Dom. Hoffentlich
bestätigen sich die Berechnungen der „Event-Manager“
auch eines Tages als so weit richtig, dass sich die gesamte
Anlage für alle Beteiligten und für die Region auch
finanziell trägt. Sonst wäre aus dem neuen Nürburgring
nur ein weiterer Turmbau zu Babel geworden.
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Steckenplan
der alten Südschleife
Die
Zufahrt zu den Parkplätzen C6 ff kreuzt heute die ehemalige
Rennstrecke
Hier
kommt die Rennstrecke von Müllenbach hoch ...
...
und hier führt sie weiter hoch zum Scharfen Kopf. Wir sind
erst am Anfang der Auffahrt
Die
Auffahrt zieht sich lang und relativ steil
Penible
Rennvorbereitungen 1967 vor einem Gartenhaus mitten in Köln
Seelennahrung Reinhard
Scholtis und seine Mitstreiter - damals wie heute - sind aus
kaufmännischen Erwägungen „nur verrückte
Rennfahrer“, die noch lange Zeit von Ihren Rennerlebnissen
zehren. Aber davon nährt sich die Seele.
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