Leidenschaft kontra Vernunft

Wie so oft und bei so vielen im Leben, musste auch bei Annegret und Willi die Leidenschaft noch oft der Vernunft den Vortritt lassen. Während Willi noch seinen Lloyd fuhr träumte er schon vom sportlichen Mini-Cooper. Aber seine sich schon damals abzeichnende berufliche Selbständigkeit und die junge Familie führten schließlich dazu, dass es schließlich ein Renault R4 werden sollte. Dieses Auto war zwar nicht so sportlich wie der Mini, hatte dafür eine riesige Heckklappe mit Ladefläche wie ein kleiner Kombi. Mit Anhängerkupplung versehen und Anhänger, konnte Willi damit schon die erstaunlichsten Transportleistungen verrichten.

Die Leidenschaft musste sich deshalb aufs Motorrad beschränken. Straßenrennsportbegeistert, wie Willi in jenen Jahren schon war, sollte es schließlich eine richtige Rennmaschine sein. Die japanischen Hersteller machten Mitte der 60er Jahre gerade ihre ersten Gehversuche in Europa und im Straßenrennsport. Für Siege in der 250er Klasse waren damals insbesondere die schnellen Zweitakttwins von Adler gut genug. Willis Augen glänzen heute noch, wenn er sich an seinen Adler-Renner erinnert. Es war der getunte und rennerprobte Motor der Adler MB 250, der in einem Ducati-Rahmen steckte, ausgerüstet mit einer Ceriani-Gabel. Eine Besonderheit waren die beiden Auspuffbirnen, sogenannte Frankfurter Töpfe. bei diesen war es möglich, die Auspufflänge zu verändern, was bei auspuffempfindlichen Zweitaktmotor für eine Charakteränderung und somit für eine genaue Streckenanpassung sorgte. Bei der Lösung eines Getriebeproblemes – seine Mutter hatte versehendlich „in das Getriebe getreten“, als er es zu Prüfungszwecken auseinandermontiert in der Küche ausgebreitet hatte - kam ihm seinerzeit das Kölner Rennfahrer-Idol und Zweitaktspezialist Reinold Scholtis zur Hilfe, der von seinen Fans liebevoll „Bleistift“ genannt wurde, weil er so lang und hager war. Als der Renner schließlich lief, nahm Willi noch an einem Fahrertraining auf dem Nürburgring und in Hengelo teil, bevor er seine Leidenschaft wegen Beruf und Familie zunächst einmal gründlich zurückstellen musste. Mangels einer geeigneten Unterstellmöglichkeit wurde die Renn-Adler am Ende verkauft.

Motorradhobby schon vor dem großen Boom

Erst als die berufliche Selbständigkeit und die junge Familie sich etwas etabliert hatten, bot sich erneut Gelegenheit für die Leidenschaft. Man schrieb damals das Jahr 1970 und die japanischen Hersteller, allen voran Honda, hatten in der europäischen Motorradszene erste Akzente gesetzt. So entschied sich Willi damals für die Honda CB 250 K2 mit ihrem Zweitzylinder-Viertakt-Twin, mit der für eine 250er damals sagenhaften Leistungsangabe von 30 PS die Motorradwelt elektrisierte. Das Motorrad diente sowohl der Freizeitgestaltung als auch der einen oder anderen Fahrt zur Baustelle sofern es das Wetter und die Transportanforderungen zuließen.. Damit gehörte Willi zu den wenigen, die bereits vor dem ca. 1975 einsetzenden Boom mit dem Motorrad die Freizeit gestalteten. Auch ich wurde damals auf Willi aufmerksam, weil er einer von dreien war, die damals in Brenig ein richtiges Motorrad fuhren. Nicht mitgezählt hierbei die Vielzahl von 50 ccm Kleinkrafträdern und die schon etwas älteren Herren, die immer noch seit den 50er Jahren mit ihrer 100er Hercules und dem Hut auf dem Kopf zur Arbeit oder zur nächsten Bahnhaltestelle fuhren, weil es eben ein billiges Kfz war.

Als ich 1972 erstmals Kontakt zu Willi fand, war er gerade dabei, die CB 250 zu verkaufen und sich als Nachfolgerin eine Yamaha R5F zuzulegen. Diese Yamaha war der Vorläufer der berühmten RD 350, wog ca. 25 kg weniger als die CB 250 und hatte feurige 36 Zweitakt-PS. Ein Motorrad, „mit dem man um die Ecken pissen kann“ höre ich Willi jetzt noch zutreffend erzählen. Ich erinnere mich auch jetzt noch an eine Ausfahrt zum Nürburgring als Sozius hintendrauf, wobei mir – ich hatte bis dahin nur Erfahrungen mit 50ern - beim Beschleunigen jedesmal fast der Atem stockte, soviel Biss hatte die Maschine. Leider wurde ihm die R5F im Herbst 1974 gestohlen und er sollte danach nie wieder ein so handliches und flinkes Motorrad haben. Die Nachfolgemaschine wurde die damals neu auf den Markt gekommene Yamaha XS 750. Willi erlebte und erlitt mit diesem ersten Dreizylinder Viertakter von Yamaha sämtliche Kinderkrankheiten die mit dieser Maschine möglich waren, bis er sie schließlich entnervt an seinen Händler zurückgab bzw. gegen die sodann erschienene Yamaha XS 850 eintauschte.
Dieses ist bis heute Willis modernes Motorrad, obwohl inzwischen zum beliebten Youngtimer gealtert.

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Text: Hans Peter Schneider